V. Liebesbrief





Meine teure Alma! eine höhere, unüberwindliche Macht fesselt mich hier. In der Zeit der Unruhen, worin wir uns befinden, werden die allgemeinen Maßregeln, welche die Regierungen zu nehmen sich genötigt glauben, da sie nicht durch Ausnahmen modifiziert sind, für eine große Zahl von Individuen, zu unersetzlichem Trübsal; eine dieser unglücklichen Maßregeln versetzt auch mich in die grausame Unmöglichkeit Dir zu folgen; ich zweifle daher, ob ich mich dafür bestimmen werde, M..., selbst nur auf kurze Zeit, zu verlassen, diese Stadt wo ich Dich gekannt habe, wohin Du zurückkehren sollst, wo Deine Familie wohnt; Erinnerungen und Hoffnungen, Alles hält mich hier zurück. Wenn ich nach anderen Orten ginge, so würde es mir scheinen, als entfernte ich mich noch weiter von Dir. Dein Schützling ist gestern mit Erfolg aufgetreten; wer Dir aber sagt, dass sie Dir ähnlich, ist im Irrtum. Nein, Niemand gleicht meiner Alma; dieses bezaubernde Lächeln, dieser so sanfte, so geniale Blick, stets im Einklänge mit den Bewegungen des Herzens; diese so feinen Züge, diese vollendeten Formen und diese engelgleiche Seele, welche das Ganze belebt, das findet man nicht zweimal. Ich bin diesen Abend in der Oper gewesen, obgleich seit Deiner Abreise das Theater, statt mich zu zerstreuen, mich unangenehm berührt; Alles scheint mir dort düster, abstoßend oder lächerlich. Der Tanz macht vor Allem einen schmerzhaften Eindruck auf mich; meine Alma allein weiß daraus eine göttliche Kunst zu machen, indem sie eine unvergleichliche Grazie mit einer blendenden Kraft, und entzückende Gesichtszüge mit dem Takt vereinigt, welcher das Schöne erraten lässt, und Alles zu vermeiden weiß, was sich davon entfernt. Meine Alma ist aber auch ein eigentümliches Wesen, um so anziehender durch ihre Vollkommenheiten als Künstlerin und Weib, als sie dieselben aus sich selbst entwickelt, und Niemandem nachahmt. Ich suche in der Vernunft, in meinen Betrachtungen, Kräfte, um meine Lage mit Ruhe zu ertragen, aber die Lehren der Erfahrung dienen dem Leben des Herzens gar wenig; ein Blick, ein Wort von Dir, haben den Lauf der meinigen gänzlich verändert. Es gab eine Zeit, wo enttäuscht von der Welt, Nichts einen wahrhaften Reiz für mich hatte; glaubte nicht mehr an das Glück, ich setzte keine Hoffnung in die Zukunft; Deine geliebten Lippen habe mir angedeutet, dass mich noch ein weit süßeres Glück erwarten könnte, als ich jemals gewünscht hatte. Du hast mein Dasein erneuert, und Du bist dessen angebetetes Ziel geworden. Ich versuche die heftigen Besorgnisse, welche mich bestürmen zu entfernen; eins vor allen verfolgt mich ohne Unterlass: es ist die Furcht, dass Du ein Engagement eingehen könntest, welches Dich mir auf immer entrisse. I... hat mir so eben gesagt, dass Du, ehe Du nach M... zurückkehrst, erst nach ... gehen würdest: er vermutete nicht, wie wehe er mir mit dieser Nachricht tat. Ach! wie sehr mache ich es mir zum Vorwurf, dass ich durch eine übertriebene Reizbarkeit, köstliche Augenblicke entschlüpfen ließ, welche ich in jener Zeit, wo ich Dich ohne Hindernis sehen konnte, hätte benutzen sollen! Eitle Reue über unverbesserliche Fehler! sie dient nur zur Vergrößerung meines Unglücks. Nimm diese langen Klagen nicht übel; ein einziger Gedanken beschäftigt mich, ich vergesse mich, ich lasse mich hinreißen, und ich habe mich diesen Schriftzügen kaum entreißen können, welche Deine schönen Augen betrachten werden. Lebe wohl Alma, lebe wohl; ich liebe Dich von ganzer Seele, und wie auch die Zukunft sich gestalten möge, welche mir dies Gefühl bereitete, es wird so lange dauern wie ich selbst.